Prof. Niko Beerenwinkel, Department of Biosystems Science and Engineering, ETH Zürich

Eine grosse Herausforderung in der heutigen Zeit ist die Analyse und Interpretation von genomischen Daten, die immer zahlreicher generiert werden, um diese dann zum Vorteil für die Medizin zu nutzen. Mathematische und statistische Modelle bilden die Grundlage für die computerbasierte Auswertung von Genomdaten. Niko Beerenwinkel und seine Gruppe versuchen mit ihren Modellen biomedizinische Fragen zu beantworten. Kürzlich veröffentlichte die Gruppe zwei Studien, die in Zukunft die Wahl des richtigen Arzneimittels entscheidend erleichtern können.

Vermutlich war es eine Mutation in unseren Genen, die vor rund 70’000 Jahren die kognitive Revolution ausgelöst und uns Homo Sapiens das Denken und Kommunizieren in einer nie dagewesenen Form ermöglicht hat. Ein entscheidender Überlebensvorteil. Die DNA aller Organismen ist solchen Spontanmutationen ausgesetzt. In der Populationsgenetik wird ein Überlebensvorteil als Fitness bezeichnet. Individuen einer Population mit einer hohen Fitness haben im Mittel eine höhere Anzahl fortpflanzungsfähiger Nachkommen. Niko Beerenwinkel und seine Gruppe analysieren mithilfe von mathematischen Modellen und statistischen Methoden biomedizinische Problemstellungen. Ihr Augenmerk liegt dabei auf der evolutionären Veränderung von Viren, insbesondere dem HI-Virus, und der Evolution von Krebszellen.

Wie alle Zellen verändern sich auch Krebszellen mit jeder Zellteilung. Eine Mutation kann der Krebszelle einen Vorteil einräumen. Daher ist es wichtig für die zielgerichtete Bekämpfung der Krebszellen, dass man diese Veränderungen und deren Auswirkung versteht. «Heute ist es möglich, das komplette Genom einer einzelnen Zelle zu analysieren und so die Evolution von Krebszellen genau nachzuverfolgen», erklärt Niko Beerenwinkel. Bisher machten alle mathematischen Modelle dieses Prozesses die Annahme, dass Krebszellen in jedem Genlokus nur einmal mutieren können. Niko Beerenwinkel und seine Gruppe konnten diese 1969 formulierte Hypothese im Dezember 2017 durch die statistische Analyse von vielen Genomen einzelner Krebszellen widerlegen. Die Studie wurde in der Zeitschrift Genome Research veröffentlicht. Die genomische Heterogenität von Krebszellen ist eine grosse Herausforderung für die medikamentöse Behandlung, denn eine spezifische Therapie ist unter Umständen nicht mehr effektiv in Krebszellen, die zu einem späteren Zeitpunkt aus der Ursprungszelle durch Mutationen entstanden sind (Intra-Tumor-Heterogenität). Die neu gewonnenen Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage für das Verständnis der zukünftigen Bekämpfung von Krebszellen.

Doch wie kann man das Verständnis des Einflusses von Mutationen und ihrer Interaktionen auf die Fitness für eine Therapie nutzen? Genetische Interaktionen sind sehr komplex. So gibt es Gene, die einen höheren Einfluss auf die phänotypische Ausprägung haben als andere, sie sind dominant. Trägt ein Mensch beispielsweise das Gen für Kahlköpfigkeit, ist dieses dominant über dem Gen der Ausprägung der Haarfarbe. Man spricht von Epistase, wenn Mutationen auf nicht vorhersagbare Weise miteinander interagieren. Niko Beerenwinkel und seine Gruppe haben in Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Team ein neues mathematisches Modell entwickelt, mit dem sich diese epistatischen Interaktionen allein anhand der Fitness-Rangfolge berechnen lassen. «Wir nutzten Sequenzdaten von Krankheitserregern wie dem HI-Virus, dem Malaria auslösenden Parasiten und einer Familie von Enzymen, die für Antibiotikaresistenzen verantwortlich sind, und bestimmten mathematisch aus der Fitness-Rangordnung genetische Interaktionen», beschreibt Niko Beerenwinkel. Er fügt an: «Diese Methodik, die nur auf Fitnessvergleichen von Individuen beruht, kann auch auf Krebszellen angewendet werden und könnte Ärzten in Zukunft bei der Wahl des bestmöglichen Medikaments helfen.» Interessierte können die öffentlich zugängliche Studie hier (eLife, Dezember 2017) nachlesen.

Niko Beerenwinkel wurde 1973 in Düsseldorf geboren und studierte Mathematik und Biologie an der Universität Bayreuth und an der Universität Bonn in Deutschland. Seine Doktorarbeit, an der er von 2000 bis 2004 arbeitete, führte er am Max-Planck-Institut für Informatik an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken durch. Als Postdoktorand arbeitete er daraufhin an der University of California, Berkeley, und an der Harvard University in den USA, bevor er schliesslich im Jahr 2007 eine Assistenzprofessur an der ETH Zürich erhielt. Seit 2009 ist Niko Beerenwinkel Gruppenleiter am Swiss Institute of Bioinformatics und seit 2013 ausserordentlicher Professor am Department of Biosystems Science and Engineering der ETH Zürich in Basel.

Ender Konukoglu, Associate Professor für Biomedical Image Computing an der ETH Zürich

Tobias Kowatsch, Professor für Digital Health Interventions an der Universität Zürich (UZH), Direktor der School of Medicine an der Universität St.Gallen (HSG) und Scientific Director, Centre for Digital Health Interventions (UZH, HSG & ETH Zürich)

Janna Hastings, Professorin für «Medical Knowledge and Decision Support» (Brückenprofessur der Universität Zürich und der Universität St. Gallen)

Prof. Pedro Beltrao

Prof. Pedro Beltrao, Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich